Der Markt löst alle Probleme


Eurokraten erweitern die EU, den Binnenmarkt und den Freihandel - ohne einen Gedanken an mögliche Folgen für Verbraucher, Umwelt und Verkehrsteilnehmer. Nicht nur die Straßen sind überfüllt, auch die zugehörigen Rastplätze.


Dienstagabend, Mitte März 2014, kurz nach der Tagesschau auf dem BAB-Rastplatz Rhynern-Nord an der Autobahn 2. Nachdem ich meinen PKW aufgetankt habe, möchte ich wieder auf die Autobahn auffahren. Geschlagene fünf Minuten fahre ich einem Sattelschlepper mit Nationalitätenkennzeichen LT (Litauen) in Schrittgeschwindigkeit hinterher. Dieser sucht auf dem völlig mit parkenden LKW überfüllten Rastplatz nach einem freien Fleckchen für die anstehende Ruhepause. Die Lastwagen stehen überall, auch auf der rechten und linken Seite der eigentlichen Fahrbahn sowie auf PKW-Parkplätzen. Während ich den Sattelschlepper aufgrund der so verengten Fahrgassen natürlich nicht überholen kann, findet der LKW-Fahrer vor mir schlussendlich doch nicht den eigentlich zwingend erforderlichen Ruheplatz und fährt völlig entnervt wieder auf die Autobahn auf.


Skandalös hieran ist nicht etwa mein persönlicher Zeitverlust von 5 Minuten. Skandalös ist die Diskrepanz zwischen dem hohen Anspruch an Verkehrssicherheit, gekoppelt an die Forderung nach Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten und das vorgebliche Ziel der EU, die Anzahl der Verkehrsunfallopfer EU-weit radikal zu reduzieren auf der einen Seite und Nichteinhaltung gewisser Mindestnormen und deren äußerst mangelhafte Kontrolle sowie fehlender "proaktiver" (ein gerne benutztes Wort unserer liberalistischen Wirtschaftsexperten) Verkehrsplanung für den "ruhenden Verkehr" auf der anderen Seite. Übermüdung ist bei schweren Verkehrsunfällen auf Autobahnen, an denen Lastkraftwagen über 7,5 Tonnen beteiligt sind, nach unangepasster Geschwindigkeit die zweithäufigste Unfallursache. In NRW hielten im Jahre 2011 rund zwei Drittel der LKW-Fahrer die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten nicht ein. Die permanente Überlastung der Rastplätze ist ganz sicher eine der Hauptursachen. Entgegen wohlmeinenden Absichtsbekundungen, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, ist die reale Entwicklung seit mehreren Jahrzehnten nahezu kontinuierlich genau umgekehrt. Durch die permanente Vergrößerung des EU-Binnenmarktes, aber auch durch strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft - Internetversand, Lean Production und Lagerhaltung auf der Straße, hat sich der Güterverkehr in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Neubau und Erweiterung bestehender Rastanlagen blieben weit hinter den Erfordernissen zurück, obwohl das Problem schon seit mindestens sieben Jahren bekannt ist (siehe Video-Beitrag der Deutschen Welle aus 2007) . Unser Staat, der wohlmeinende Normen zum Schutze aller Verkehrsteilnehmer schafft, macht diese gleich zu Makulatur, indem er die Einhaltung dieser Regeln praktisch verunmöglicht, weil er nicht rechtzeitig in die Verkehrsinfrastruktur investiert. Die Zeche zahlt der Verkehrsteilnehmer, mittelbar durch unfreiwilligen Aufenthalt in durch Unfälle verursachte Staus und direkt durch Verwicklung in Verkehrsunfälle mit unkonzentrierten Fahrern. Dazu muss das Fahrzeug des Betroffenen nicht einmal in Bewegung sein: Sehr typisch sind Auffahrunfälle.

Fährt der völlig übermüdete Sattelzug-Fahrer, der zuvor mehrfach vergeblich einen Rastplatz ansteuerte, während eines Sekundenschlafes auf ein Stauende auf, so zahlt eben die Autofahrerin am Steuer des PKW vor ihm, deren Automobil durch die Wucht des Aufpralls unter den vor ihr stehenden LKW geschoben wird, mit ihrem Leben für den Geiz des Staates. Natürlich ist der auffahrende LKW-Fahrer für den Unfall verantwortlich. Denn er hätte ja in seinem Zustand nicht weiterfahren dürfen.


Verantwortung und Haftung


Doch ist dieser alleine verantwortlich? Kaum war unsere neue "große Koalition" im Amt, beschloss sie eine Diätenerhöhung. Als Hauptargument für die üppige Steigerung auf Richter-Niveau wurde die hohe Verantwortung der Parlamentarier ins Feld geführt. In der Tat, verantwortlich für die Versäumnisse der Verkehrspolitik seit der EU-Erweiterung um die baltischen Staaten sind unsere Parlamentarier sehr wohl. Leider geht diese Art der "Verantwortung" nicht konform mit einer entsprechenden Haftbarkeit, sondern ist allenfalls moralisch zu verstehen und damit ökonomisch wertlos. - Ein schlechtes Argument für ein höheres Tagesgeld, vergleichbar mit der Argumentation eines Angestellten bei einem Gehaltsanpassungsgespräch mit seinem Arbeitgeber, dem er auf die Frage nach seiner Mehrleistung, die ein höheres Gehalt rechtfertige, entgegnet: "Ich bete für Sie".

Während die Legislative seit Jahrzehnten schon Straßen und Schienen verrotten lässt, indem sie der Verkehrsinfrastruktur stets zu wenig Geld zuweist, was sich beispielsweise in den zahlreichen maroden Brücken über den Rhein manifestiert - bei Leverkusen herrscht aktuell ein akuter Notstand, überwacht die Exekutive aus Personalnot den Verkehr vorzugsweise nicht in den Bereichen, wo es vielleicht am nötigsten wäre, sondern wo sie einfach und automatisch physikalische Größen messen kann und dabei viel Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erzielt: Der nächste Blitzmarathon in NRW ist am 8. April 2014. Weniger leicht messbare oder offenkundig sichtbare Verkehrsrisiken hingegen bleiben weitestgehend unkontrolliert: Wie anders ist es möglich, dass in der Presse immer wieder Fälle von Autofahrern auftauchen, die schon seit Jahrzehnten ohne Führerschein am Steuer sitzen? Oder erinnern Sie sich noch an die letzte allgemeine Verkehrskontrolle? Während zu dichtes Auffahren (ebenfalls noch leicht messbar von Brücken) noch hin und wieder geahndet wird, hat sich der Spurwechsel ohne Blinkerbetätigung schon zur Volkskrankheit gemausert, weil dieser einerseits automatisch nicht so einfach zu erfassen ist und andererseits der Autobahnpolizei offensichtlich die Ressourcen zur humanoiden Überwachung fehlen. Dabei geschehen wirklich gravierende Sachen, z.B. Spurwechsel auf der Autobahn von der dritten Spur in die Ausfahrt auf nur ca. 150 Metern - bei dichtem Verkehr und selbstverständlich ohne zu blinken! - Mehrfach so erlebt.

Nicht nur die Polizei ist völlig überfordert, sondern offensichtlich auch der Zoll. Dies ist schon daran zu erkennen, dass Kraftfahrzeuge von außerhalb der EU häufig ohne Nationalitätenkennzeichen bei uns herumfahren - vielleicht sogar auch ohne Versicherungsschutz? Dann bleibt der unverschuldet in einen Unfall mit einem derartigen Fahrzeug verwickelte Autofahrer am Ende noch auf seinen Kosten sitzen.



Deborah Grieß